Sicherheitsarchitektur für KI-Komponenten in der Produktion

In der modernen Fertigung tragen KI-Funktionen erheblich zu Produktivitätssteigerungen und flexibleren Produktionsprozessen bei. Derzeit sind Fertigungsroboter meist statisch programmiert und auf präzise Spezifikationen ihrer Aufgaben und Umgebungen angewiesen. Dies macht sie sehr unflexibel gegenüber Schwankungen im Produktionsprozess: Abweichungen in der Materialqualität und sich ändernde Produktionsanforderungen können nicht ausgeglichen werden, was zu kostspieligen Qualitätsschwankungen und Ausfallzeiten führt. Innovative Fertigungsansätze wie die Mensch-Roboter-Kollaboration erfordern adaptive Roboter, die dynamisch mit von Natur aus unvorhersehbaren Menschen interagieren können.  

Die Integration von Künstlicher Intelligenz (KI) in die Steuerung von Robotern stellt eine vielversprechende Lösung dar. Durch die Steuerung auf Basis von Wahrnehmung unter Verwendung gelernter Verhaltensweisen können Roboter auf ihre Umgebung reagieren, was den Programmieraufwand erheblich reduziert. Der Einsatz von KI ist jedoch mit strengen Sicherheitsanforderungen an diese sogenannte Steuerungs-KI verbunden, um Schäden an Anlagen und Verletzungen von Mitarbeitern zu vermeiden. Jedoch können KI-Funktionen derzeit nicht die dafür erforderlichen Sicherheitsgarantien bieten. 

Um das Potential der KI in Steuerungssystemen für den Technologiekonzern Hitachi zu realisieren, hat das Fraunhofer IKS eine Sicherheitsarchitektur zur Absicherung von KI-Komponenten sowie einen Entwicklungsprozess zur Integration solcher Komponenten in sicherheitskritische Systeme entwickelt.

Absicherung von Reinforcement Learning für die Bewegungsplanung

Abstrahiertes Fertigungsszenario mit Industrierobotern

Im Rahmen des Industrieprojekts untersuchte das Fraunhofer-Institut für Kognitive Systeme IKS ein abstrahiertes Fertigungsszenario mit Industrierobotern. Ein simulierter Roboterarm hatte die Aufgabe, ein Werkstück (grüner Würfel) an eine Zielposition (blauer Würfel) zu bewegen und dabei Kollisionen mit einem menschlichen Arbeiter zu vermeiden, der auf unterschiedliche Weise in den gemeinsamen Arbeitsbereich eintrat.

Die Einfachheit dieser Aufgabe macht dieses Szenario ideal für die Analyse der Fähigkeiten und Grenzen von KI in sicherheitskritischen Anwendungen. Während des Projekts wurde eine Funktion zur Trajektorienplanung mithilfe von Reinforcement Learning trainiert, indem die Bewegungsrichtlinie durch Ausprobieren erlernt wurde. Die Trainingsmethode erlaubt jedoch keine Sicherheitsgarantien hinsichtlich der Ausgabe der Funktion. Dies ist auf mehrere KI-Risikofaktoren zurückzuführen, die KI-basierte Funktionen in allen Phasen ihres Entwicklungszyklus beeinflussen. Daher hat das Fraunhofer IKS einen systematischen Ansatz entwickelt, um Risiken zu identifizieren und wirksame Maßnahmen innerhalb der Sicherheitsarchitektur abzuleiten.

AI Safety Envelope Architektur

Zur Identifizierung und Bewertung von KI-Risiken wurden etablierte Risikomanagementpraktiken gemäß ISO 31000 herangezogen [1]. Aus einer Liste generischer Risikofaktoren analysierte das Fraunhofer IKS schrittweise deren Auswirkungen auf das betrachtete System. Für die endgültige Liste der Risikofaktoren definierte das Fraunhofer IKS  Maßnahmen zur Risikominderung, die das Risikoniveau zur Laufzeit reduzieren können. Für die Integration dieser Maßnahmen in das System griffen die Forschenden auf die AI Safety Envelope (AI-E)-Architektur zurück, einer früheren Arbeit des Fraunhofer IKS [2]. 

Die Risikominderungstechniken wurden als selbstschützende-, selbstüberwachende- oder selbstprüfende Maßnahmen implementiert. Diese drei Techniken bilden den AI Safety Envelope, der die unzuverlässige KI-Funktion umgibt und sie in ein zuverlässiges Subsystem umwandelt. Die AI-E-Architektur ist eine Implementierung der in ISO/IEC TR 5469 beschriebenen architektonischen Risikominderung für KI-Funktionen [3].

AI Safety Envelope Architektur für abhängige Subsysteme
© Fraunhofer IKS
AI Safety Envelope Architektur für abhängige Subsysteme

Simulationstest des Sicherheitskonzepts

Das Fraunhofer IKS führte eine Reihe von simulationsbasierten Tests durch, um quantitativ zu bewerten, wie effektiv die AI-E-Architektur die identifizierten KI-Risikofaktoren mindern kann. Mit Hilfe des Simulators Webots wurden 10.000 Testszenarien ausgewertet, um sowohl die Rate der sicher abgeschlossenen Szenarien (Sicherheitsrate) als auch die Rate der erfolgreich abgeschlossenen Szenarien (Erfolgsrate) zu messen und so das Verhältnis zwischen Sicherheit und Verfügbarkeit zu untersuchen.  

Das Forscherteam beobachtete, dass jede implementierte Minderungsmaßnahme die Sicherheitsrate des Systems verbesserte. Darüber hinaus führte die Kombination aller Maßnahmen zu einer weiteren Verbesserung der Sicherheit im Vergleich zu jeder einzelnen Maßnahme, was darauf hindeutet, dass die verschiedenen Maßnahmen unterschiedliche KI-Risiken adressieren und sich gegenseitig ergänzen.  

In Bezug auf die Erfolgsquote beobachtete das Fraunhofer IKS einen Konflikt zwischen Sicherheit und Verfügbarkeit. In einigen Szenarien war der AI-E übermäßig vorsichtig und griff ein, obwohl das Szenario von der Steuerungs-KI-Funktion allein sicher abgeschlossen werden konnte. Ein solches Ergebnis ist jedoch im Allgemeinen wünschenswert, um gefährliche Situationen und die daraus resultierenden Verluste zu vermeiden. Statistische Analysen zeigten, dass die Verringerung der Verfügbarkeit zu einem akzeptablen Produktivitätsverlust führt.

Zusammenarbeit zwischen Fraunhofer IKS und Hitachi

Die Erfolge dieses Projekts wären ohne die enge Zusammenarbeit zwischen Forschung und Industrie nicht möglich gewesen. Der industriegetriebene Anwendungsfall ermöglichte es dem Fraunhofer IKS, sein Fachwissen auf ein Fertigungsproblem von hoher Bedeutung anzuwenden. Für Hitachi bilden die Projektergebnisse eine Grundlage für die Implementierung KI-basierter Produktionssysteme und die Anwendung von KI-Funktionen in anderen sicherheitskritischen Bereichen.  

Statement von Hitachi:

»Hitachi wertschätzt die hervorragenden Ergebnisse sehr, die durch diese Zusammenarbeit mit dem Fraunhofer IKS erzielt wurden. Die Entwicklung und Validierung der AI Safety Envelope Architektur, durch die sich eine deutliche Verbesserung der Sicherheitsraten in umfangreichen Simulationen gezeigt hat, stellt einen bedeutenden Beitrag zur sicheren und zuverlässigen Integration von KI in autonome Steuerungen und weitere kritische Systeme dar.

Die systematische Identifizierung und Minderung von KI-bezogenen Risiken in Einklang mit internationalen Sicherheitsstandards bildet eine solide Grundlage für die Anwendung fortschrittlicher KI-Funktionen – nicht nur in der Fertigung, sondern auch in einer Vielzahl sicherheitskritischer Bereiche. Wir werden diese Ergebnisse als Grundlage für weitere Innovationen und praktische Umsetzungen in der Zukunft nutzen.«

Chief Researcher, Hitachi Ltd. R&D Group, Autonomous Control Research Department   
Satoshi Otsuka  

Vorteile und gelöste Probleme

Der Hauptvorteil der Lösung liegt in der Entwicklung einer Sicherheitsarchitektur, die die sichere Integration von KI-basierten Steuerungen in Industrieroboter ermöglicht. Die entwickelte Architektur erhöht die Zuverlässigkeit und Sicherheit von KI-gesteuerten Systemen, was für deren Einsatz in sicherheitskritischen Umgebungen von entscheidender Bedeutung ist.  

Zu den zentralen Problemen, die angegangen wurden, gehören:  

  1. Sicherheitsanforderungen: Die entwickelte Sicherheitsarchitektur gewährleistet die sichere Nutzung von KI-Funktionen, indem potenzielle Risiken systematisch identifiziert und gemindert werden.  

  2. Mangelnde Zuverlässigkeit von KI-Funktionen: Die Implementierung des AI Safety Envelope erhöht die Zuverlässigkeit von KI-Funktionen und ermöglicht deren Einsatz in sicherheitskritischen Anwendungen. 

  3. Mangelnde Flexibilität: Durch die Nutzung von KI-Funktionen können Roboter dynamisch auf ihre Umgebung reagieren und sich besser an Schwankungen im Produktionsprozess anpassen.

Diese Erfolgsgeschichte zeigt, wie innovative Ansätze im Bereich der KI-Sicherheit eine neue Ära in der Fertigung einläuten können.

[1] ISO 31000:2018, “Risk management – Guidelines,” International Organization for Standardization, 2018.

[2] G. Weiss, P. Schleiss, D. Schneider, and M. Trapp, “Towards Integrating Undependable Self-Adaptive Systems in Safety-Critical Environments,” in Proceedings of the 13th International Conference on Software Engineering for Adaptive and Self-Managing Systems, May 2018, pp. 26–32.

[3] ISO/IEC TR 5469:2024, “Artificial intelligence – Functional safety and AI systems,” International Organization for Standardization, 2024.

Weitere Projekte und Referenzen im Bereich Produktion

 

Absicherung autonomer, mobiler Robotersysteme

Im Rahmen des Verbundprojekts »RoboDevOps« hat das Fraunhofer IKS zusammen mit der Magazino GmbH an der Übertragung von DevOps-Konzepten auf die Robotik geforscht. Sie konnten Herausforderungen identifizieren und spezifische Lösungen erarbeiten, welche zu technischen Synergien führten und die Zusammenarbeit optimierten. 

 

Infrastruktursensoren für sichere, automatisierte Gabelstapler

Das Fraunhofer IKS hat gemeinsam mit Hitachi untersucht, ob Infrastruktursensoren die Sicherheit in einer Lagerhalle mit automatisierten Gabelstaplern erhöhen. Dafür haben die Forscherinnen und Forscher einen Simulationsrahmen für die Bewegungen der fahrerlosen Transportsysteme in Lagern auf der Grundlage von Webots erstellt.

 

Einfache KI-Integration für die Industrie 4.0

Im Gemeinschaftsprojekt REMORA arbeitet das Fraunhofer IKS an der einfachen Integration von KI-Services in Industrie-4.0-Anwendungen. Ziel ist es, die Integration von KI für die Echtzeit-Maschinendaten-Analyse zu vereinfachen und Werkzeuge für qualitativ hochwertige und dynamische Maschinendaten zu erstellen.

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